Sperrzone Tag 32

Heute war wieder so ein Tag, an dem ich mich frage, was ich gemacht habe. Morgens habe ich im Bett gelegen, dann war ich eine halbe Stunde spazieren. Bis am Nachmittag habe ich mit meinem Mann im Garten gesessen, Boccia und Backgammon gespielt. Am Abend haben wir gekocht und sind zusammen auf dem Sofa eingeschlafen. So vergehen die Tage. Vielleicht werden wir wie Hauskatzen.

Sperrzone Tag 31

18849 Tote, 30455 Gesunde, 3951 neue Fälle. Warum werden die Leute bei uns nicht gesund? Warum gibt es in Spanien und in Deutschland mehr Gesunde als in Italien. 55668 in Spanien, 52407 in Deutschland. Es bleibt mir ein Rätsel. Die Zahlen der Kranken in der Intensivstation haben abgenommen. Warum werden die Leute nicht gesund?

Wieder versprüht meine Nachbarin Gift im Garten, ich gehe auf die Straße, um sie nicht aushalten zu müssen. Als mein Mann nach Hause kommt, gehen wir Orangen kaufen.

Auf dem Weg dorthin sehe ich einen alten Mann auf einer Parkbank. Ein seltsamer Anblick. Vielleicht wird er dort gelassen, oder niemand bemerkt ihn. Der Rasen im Park ist gemäht worden, aber niemand darf ihn betreten. Ich wünsche mir immer wieder, ans Meer zu dürfen, oder einfach nur drei Kilomter zu Fuß raus, aufs Land. Wie schön es wäre. Wie es sich wohl anfühlen wird, wenn es wieder möglich ist? Heute lese ich, dass es noch lange dauern wird. Ich hoffe, wir werden nicht alle verrückt geworden sein. Ich lese von alten Menschen, die sich in ihrer Wohnung umbringen, weil sie die Isolation nicht mehr aushalten.

Sperrzone Tag 30

Schon dreißig Tage. Und kein Land in Sicht. Unsere Nachbarin, die schon immer ein Giftzwerg war, wird langsam verrückt. Sie geht nie aus der Wohnung. Heute morgen hat es überall nach Desinfesktionsmittel gerochen. Sicher war sie es. Sie hat sich aufgeregt, dass ich zu viele Blumen pflanze. Für mehrere Stunden habe ich ihr Gift in mir gespürt. Ich verstehe nicht, wie es möglich ist.

Später arbeite ich an meinem neuen Roman. Er lenkt mich wieder ab. Ich lasse mich treiben, in ihren Abenteuern.

Nachts meine ich´ die Angst meiner Nachbarin zu spüren. Urangst? Todesangst?

Sperrzone Tag 29

Morgens ist es immer das Gleiche: ich frühstücke im Bett. Brot mit Marmelade. Die Marmelade von meinem Mann und Kaffee. Mokka und Milch. Ich lese die Zeitung vom Vortag, dann im Nachrichten im Internet. Zwei einhalb Stunden. Danach stehe ich auf und laufe an der Stadtmauer meine Runde. Es ist warm, viel zu warm für die Jahreszeit.

Ich werde eine der Letzten sein, die wieder arbeiten können. Ich muss mich aufraffen. Es reicht nicht, jeden Tag eine halbe Stunde spazieren zu gehen und im Garten zu sitzen. Ich überarbeite mein Exposé und schicke mein Romanmanuskript an eine Agentur. Etwas muss ich tun.

Sperrzone Tag 28

Draußen ist es warm. Ich friere wieder. Warum friere ich bloß? Zu viel in der Wohnung. Ein Frühling, der vorbeigeht. Vogelsingen, hinter dem Fenster. Wieder steht der Militärlaster auf der Straße, um die Leute zu kontrollieren. Ich sitzte auf dem Balkon und tanke Vitamin D, wie eine Eidechse. Genauso kaltblütig wie eine Eidechse fühle ich mich gerade. Mir ist kalt. Die Tage sind langsam und alle gleich. Die Welt, die ich mit meinen eigenen Augen wahrnehme, ist zusammengeschrumpft. Sie geht von der Kreuzung an der Stadtmauer bis zum Zeitungsladen an der anderen Kreuzung, die zum Bahnhof führt. Ach ja der Bahnhof. Den habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Nur, wenn wir einkaufen, wird meine Welt um ein Stück weiter, nur ein kleines bisschen. Wie lange werden wir hier noch ausharren müssen, frage ich mich und ich frage mich auch, warum wir so wenig Genesene haben in Italien. Werden die Leute hier nicht gesund? Oder werden sie nicht gezählt? Wie lange? Wie lange? Wie lange?

Sperrzone Tag 27

Was habe ich heute getan? Nichts. Oder fast nichts. Am Abend habe ich Feldenkrais über Zoom unterrichtet. Ich habe mindestens die Hälfte meiner Kunden verloren. Nicht alle lieben es, über Internet Kontakt zu halten. Besonders die alten Leute tun sich schwer. Ich habe gelesen, dass in Italien 25% aller Haushalte kein Internet besitzt. Die Schule soll nun wieder Pflicht für die Kinder werden, aber nicht alle besitzen einen Computer. Bei vielen Familien gibt es nur einen Computer, an dem die Eltern arbeiten müssen. Oder in einer Familie sind mehr Kinder als Computer. Die Leute, die schon den ganzen Tag am Computer arbeiten, haben abends keine Lust mehr auch noch Feldenkrais vor dem Computer zu machen.

Sperrzone Tag 26

Gewöhnt man sich an alles? Ich weiß nicht. Ich denke immer wieder an Orte, die ich nicht erreichen kann. An meine Reisen. An eine Terrasse auf Kreta, auf der mich immer eine graue Katze besuchen kam. An die Musik am Morgen und die Spiele der Kinder. Oder ich denke an den alten Hafen von Piombino, in dem ich letzten Sommer schwimmen war. Auch denke ich an die Klippen und die Macchia. Jetzt sitze ich im Garten. Unsere Nachbarn schneiden den Rasen mit einer großen Schere, weil sie keinen Rasemmäher haben. Den meisten Teil des Rasens haben die Kinder platt gemacht, beim Fussballspielen. Wir sitzen im Garten und laben uns in der Sonne, bis wir dumm werden. Heute sind wir faul. Nur ein Bocciaspiel machen wir, sonst bewegen wir uns nicht viel. Wer weiß, wann wir das Meer sehen werden. Es ist nur vierzig Kilometer entfernt. Sicher wird es viel sauberer sein. Wie wird sich das Meer wohl anfühlen? Ich habe heute Focaccia gebacken. Ich habe an den Bäcker in Piombino gedacht.

Sperrzone Tag 25

Wie es wohl ist, eine Katze mit Gummihandschuhen zu streicheln, denke ich mir. Wie schlechter Sex vielleicht. Heute beim Gartencenter ist es dazu gekommen. Die Katze scheint trotz meiner Handschuhe zufrieden zu sein. Sie liegt dort auf dem Geranientisch und schnurrt. Aber das Fell nicht an den Fingern zu spüren ist schon komisch. Ich kaufe Salat, und Zucchini zum einpflanzen, ein paar Kräuter und viele Blumen, Erde und Blumentöpfe.

Wir arbeiten den ganzen Tag im Garten. Es ist warm. Schon lange habe ich mich nicht mehr körperlich so verausgabt. Es fühlt sich gut an. Die Nachrichten im Fernsehen werden immer absurder. Jeden Tag betet der Papst. Die Zahlen der Infizierten stiegen nun weniger, aber es sind trotzdem noch viel zu viele Menschen, die krank werden. Niemand glaubt mehr daran, dass es bald zu Ende sein wird.

Am späten Nachmittag gehen wir Orangen kaufen. Orangen kaufen ist schön. Man kommt über die Wiese und an der geschlossenen Bar am Marktplatz unseres Nachbarviertels vorbei. Ein Mann mit einer Tüte Orangen kommt uns auf halber Strecke entgegen. Orangenkaufen wird etwas sein, was in unserer Erinnerung bleibt, sagt mein Mann.

Sperrzone Tag 24

Langsam wie im Gefängnis geht die Zeit voran. Doch auch heute passiert etwas Besonderes. An dem Besonderem halte ich mich fest. Ich unterrichte eine Gruppe von Feldenkraislehrern auf zoom. Am Anfang bin ich aufgeregt wie ein Schulmädchen, doch meine Stimme bleibt ruhig und professionell. Die Lektion erweitert Atmung und Brustkorb. Die Leute bedanken sich bei mir. Ich bin gerührt.

Als wir einkaufen fahren wollen, springt das Auto nicht an. Es gibt keinen Muks von sich. Ich nehme alle Sicherungen raus, aber keine ist kaputt. Vielleicht die Batterie, meint der Mechaniker am Telefon. Wir fahren mit dem Fahrrad zum Coop. Wieder Schlange stehen vor dem Supermarkt. Die Leute reden nicht miteinander. Ich und mein Mann gehen getrennt rein. Wir haben uns die Arbeit aufgeteilt. Ich komme mit fünf Tüten raus. Drei mit Gemüse. Nicht alle Tüten passen hinten in den Korb, zwei hängen am Lenker.

Sperrzone Tag 23

Die Militärkontrolle habe ich hinter mir und auch meine Phobie gegen Polizeigewalt, die ich noch aus Kindertagen mit mir rumtrage. Den Stier bei den Hörnern nehmen heißt es hier. Der Stier ist selbst zu mir gekommen. Jetzt weiß ich, dass sie mir nichts anhaben können. Auch das Transparent mit dem Spruch „Wenn ich einen Fußgänger sehe, schreie ich laut“ ist verschwunden. Ein gutes Zeichen, frage ich mich.

Wir haben online ein Zimmerfahrrad gekauft. Es gibt an, wie viele Kilometer ich zurücklege. Ich kann mir vorstellen, wie weit ich mit einem richtigen Fahrrad kommen würde, wenn ich draußen herumfahren würde. Ich würde zum Fluss Po fahren, dann Richtung Meer, vielleicht nach Venedig oder Ravenna. Aber ich glaube, der Tacho funktioniert nicht richtig. Er gibt viel zu hohe Zahlen an. Draußen streiten wieder die Nachbarskinder. Mit ihrern Ballschüssen nehmen sie langsam aber sicher, den ganzen Gartenzaun auseinander.

Es wird wärmer. Wer weiß, wie lange wir hier noch so ausharren werden müssen.